Auf der Suche nach dem verlorenen Wald
Posted by Hungerburg on 19 April 2021 in German (Deutsch). Last updated on 13 May 2021.Ein in Abstimmung befindliches proposal beinhaltet, dass die Kennzeichnung von Waldflächen mit “landuse=forest” als veraltet gelten soll. In deutschen Landen wird die allerdings gerne dafür verwendet, um Waldflächen nach ihrer wirtschaftlichen Nutzung zu unterscheiden. So liest man jedenfalls. Im deutschsprachigen Forum hieß es dementsprechend vor Kurzem wieder einmal: 95% des Waldes in D/A/CH sind seit hunderten von Jahren Nutzwald, gehören also mit “landuse=forest” getaggt. Woher stammt diese Zahl?
Aus den Daten der openstreetmap selbst? Im OHSOME Dashboard lassen sich Flächen von Wald (natural=wood) und Forst (landuse=forest) ausgeben. Die sind mit Taschenrechner schnell in Anteile umgelegt. Deutschland liegt mit 97% Nutzwald nicht weit von 95, Österreich mit 99,2% allerdings ordentlich daneben, die Schweiz mit 95,6% schießt den Vogel ab. Alles klar! Genauer als die Deutschen sind eben nur die Schweizer, die Österreicher können den beiden das Wasser nicht reichen, die können nicht einmal Daten richtig erfassen. So könnte man meinen.
In Österreich gibt es nun die Österreichische Waldinventur, eine amtliche Stelle, die genau diese Daten erhebt. Ihr zufolge sind in Österreich aber nur 83% des Waldes Ertragswald, will heißen, für die Holzgewinnung genutzt. Besonders eklatant fällt das in einem westlichen Bundesland auf, die Ertragswaldquote laut ÖWI liegt dort bei 65,4%, laut OSM dagegen bei 98,8. Das liegt ja noch weiter auseinander!
In diesem westlichen Bundesland gibt es zu unserer Freude auch ein öffentlich zugängliches Geoinformationssystem. Luftbilder und anderes lassen sich als Hintergrundebene in JOSM einblenden. Vielleicht lässt sich damit mehr über die Differenz erfahren? Hier ein paar Bildschirmfotos von der “Suche nach dem verlorenen Wald”, mögen es vier Prozentpunkte sein, oder 33.
Die folgenden Bilder zeigen Ausschnitte in denen die OSM-Carto Standardansicht mit Daten des Landes überlagert wurden.
Paschberg - Das sieht einmal gut aus: geschätzte 105% der in OSM als Forst erfassten Flächen gelten als Ertragswald. Man sieht nebenbei auch, fürs Amt zählen Kahlschläge zum Ertragswald, während OSM Laien dort Gebüsch sehen, zumindest ein paar Jahre lang. Vielleicht liegt das aber eher an der glazialen Langsamkeit, mit der in der Forstwirtschaft Zeit vergeht?
Gschnitztal - Es wird bunter: Während der ganze in OSM erfasste Wald Forst ist, im GIS des Landes sieht es durchmischt aus; und das nicht nur weil mehr als zwei Arten der Nutzung getrennt abgebildet werden. Da haben wir den Salat.
Vomperloch - Es wird wieder weniger bunt: Viel Schutzwald außer Ertrag. Wer die Örtlichkeit nicht kennt: Hier holt man Holz auch schon einmal mit dem Hubschrauber.
Nichts, das daran Zweifeln machen könnte, dass die amtlichen Daten so weit daneben liegen. Woran scheitert die genaue Erfassung in der OSM?
- Der meiste Wald hier ist vor 10 Jahren kartiert worden. Die 95%-Regel hat es wohl schon gegeben, kurz zuvor war viel Wald per bot zu Forst umgetaggt worden, es gab sehr viel zu tun, da musste es schnell gehen. Meine Vermutung: es wurde nach Empfehlung markiert, viel schief gehen kann eh nicht.
- Auch auf dem besten Luftbild lässt sich die Nutzung eines Waldes schwer erkennen. So bunt wie auf den Bildern die Nutzungsartenn ausfallen sieht es mir danach aus, dass das auch am Boden nicht so ohne weiteres möglich ist.
Will man die Unterscheidung in den Daten korrekt abbilden müssen jede Menge neuer Löcher “natural=wood” in die “landuse=forest” Flächen gestanzt werden. Andernorts müssten Löcher entfernt werden. Wie die dann füllen, wenn nicht Information verloren gehen soll?
Will man die Unterscheidung, forstwirtschaftlich genutzt kontra ungenutzt überhaupt abbilden? Das erwähnte proposal kurioserweise, das sich um die Erfassung von Forstbezirken kümmert, scheint es darauf nicht besonders abgesehen zu haben. Ich habe keine Möglichkeit gesehen, wie Wald als “use=industrial” oder ähnlich markiert werden könnte. Bisher scheint das noch nicht vermisst worden zu sein.
Dafür erwähnt das proposal den Schlüssel leisure - Erholungswald, eine Kategorie, die auch das Amt kennt, in einem andren Datensatz abgelegt, also oben nicht aufscheinend. Ein weiterer Datensatz heißt übrigens “Landnutzung”: Den habe ich nicht ganz verstanden, nur soviel, dass darin keine Unterscheidung von Wald nach Nutzung vorgenommen wird.
Die vorgeschlagenen neuen boundaries vermute ich, werden dabei auch nicht wirklich hilfreich sein. Die Waldkategorien, die auf den Diagrammen oben so schöne abstrakte Bilder zeichnen, folgen nämlich nicht den Grundstücksgrenzen; und das offensichtlich nicht, weil die Waldkategorien eventuell nur schleißig gezeichnet wurden, manchmal teilen sie Grundstücke, nicht nur kleine, genau in der Mitte. Ob Forstbezirke genauso wenig an den Kataster gebunden sind?
Quellen: Grundkarten © Openstreetmap Contributors +++ ÖWI Daten © Bundesforschungszentrum für Wald - https://www.bfw.gv.at/waldinventur-zwischenergebnisse-2016-2018/ +++ © Waldkategorien: Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung Raumordnung und Statistik, https://gis.tirol.gv.at/arcgis/rest/services/INSPIRE/AT_0024_17_Bodennutzung/MapServer/exts/InspireView/service - CC BY 3.0 Österreich - Zur Legende: Wenn hellrosa grün überlagert sieht es recht grau aus, nicht Baumbestanden Flächen sind im WMS nicht hellblau sonder schwarz +++ Bilder von der Überlagerung mit dem Kataster können hier nicht veröffentlcht werden, weil die den Nutzungsbedingungen des BEV unterliegen.
PS: Laut https://www.waldschweiz.ch/schweizer-wald/wissen/schweizer-wald/zahlen-fakten/ erfüllen 40% des Waldes Schutzfunktion; Wie viel davon im Ertrag steht ist nicht angeführt. Meines Erachtens spricht das eher nicht dafür, dass die 95% Quote in der Schweiz gilt, wie genau die in der OSM auch erreicht werden mag.
Discussion
Comment from Penegal on 20 April 2021 at 16:02
Hungerburg,
Ich habe den
boundary=forestry
Vorschlag geschrieben. Ich werde nicht eine lange Nachricht schreiben, weil ich in Deutsch kein Fortgeschrittener bin. Dennoch habe ich Ihren Zettel mit Aufmeksamkeit gelesen: nach dem Ende der Wahl werde wahrscheinlisch eine “debriefing” Nachricht zu schreiben, und Sie haben Sachen erklärt, die ich in dieser Nachricht ausführen werde. Dafür würde ich gern mit Ihnen austauschen, wenn es Ihnen kein Problem ist. Wenn Sie auch Englisch schreiben können, wird es einfacher sind.Mit freundlichen Grüßen.
Comment from Hungerburg on 20 April 2021 at 18:46
Dear Penegal, You are welcome! Feel free to task me. I wrote this in German, because of the matter seemingly being most controversive in the German community. There are some things to amend, I hope the piece will not get longish and boring. Kind Regards
Comment from Hungerburg on 23 April 2021 at 21:57
This updated and a followup too, https://www.openstreetmap.org/user/Hungerburg/diary/396451 presenting, below the fold, results of laymen research into local forestry regulations.